Das Comeback des ländlichen Raumes
30.05.2022 |
Nach schwierigen Jahren, die von Abwanderung und strukturellen Nachteilen geprägt waren, feiert der ländliche Raum ein Comeback. Gründe dafür sind Initiativen, die die Attraktivität der Peripherie gesteigert haben, und die Corona-Pandemie. Trotzdem steht der ländliche Raum vor großen Herausforderungen, war das Fazit der Jahrestagung der Plattform Land zum Thema „Zukunft Land“.
Viele Jahre lang kannte die Bevölkerungsmigration nur eine Richtung: vom Land in die Stadt. Nun ist ein neuer Trend erkennbar, denn immer mehr Bürgerinnen und Bürger wollen aufs Land – und das nicht erst seit der Corona-Pandemie, wo die Menschen die Qualität des Landlebens wiederentdeckt haben, eröffnete Plattform-Land-Präsident Andreas Schatzer die Jahrestagung. Um die Attraktivität zu erhalten, brauche es weiterhin attraktive Arbeitsplätze, bezahlbaren Wohnraum, funktionierende Dienste und eine gute Erreichbarkeit in Form von schnellem Internet und einem ausgebauten öffentlichen Nahverkehr. Dank neuer Formen des Arbeitens, wie Homeoffice oder Coworking, und Breitbandinternet könnten einige Standortnachteile des ländlichen Raumes ausgeglichen werden. Einige Beispiele dafür präsentierte Thomas Egger, der Direktor der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete. Breitbandinternet, Apps für Fahrgemeinschaften oder der 24-Stunden-Einkauf im Dorfladen steigern die Lebensqualität und überwinden Distanzen. Bergdörfer würden so zu „smarten“ Bergdörfern.
Trotz des positiven Blicks in die Zukunft sind die Herausforderungen für den ländlichen Raum groß, erinnerte Plattform-Land-Geschäftsführer Ulrich Höllrigl. Besonders die Berggebiete stehen unter einem zunehmenden Druck durch eine starke Nutzung des Raumes, gerade auch im Infrastruktur- und Freizeitbereich. Daher sei es nötig, eine Balance zwischen Nutzung und Erhalt zu finden. Die wohl größte Aufgabe ist aber der Klimawandel, unterstrich Manfred Miosga von der Universität Bayreuth. „Es reicht nicht mehr aus, Prozesse zu optimieren. Was wir dringend brauchen, ist eine tiefgehende Transformation hin zu einer nachhaltigen Entwicklung.“ Der ländliche Raum müsse anpassungsfähig und krisenfest werden. Daher sei ein neues Denken und ein Perspektivenwechsel nötig, das alte „Normal“ funktioniere nicht mehr. Ganz wichtig sei ein rasanter Ausbau erneuerbarer Energien und die Vorbereitung auf außergewöhnliche Wetterereignisse. „Die Resilienz, die Fähigkeit, sich Veränderungen anzupassen und trotzdem funktionsfähig zu bleiben, muss ein zentrales Element der ländlichen Entwicklung werden.“
Eine beeindruckende Entwicklung hat die Gemeinde Hinterstoder in Oberösterreich genommen. Vor 30 Jahren ist ein Entwicklungsprozess gestartet worden, um die Gemeinde attraktiver zu machen. So wurden etwa neue Strukturen, wie ein Veranstaltungszentrum oder ein Museum, gebaut. Auch Plätze wurden neu gestaltet und Grünraum geschaffen. Ein Schwerpunkt war die sanfte Mobilität. Ebenso wurde in die touristische Entwicklung investiert. 2018 sind die Bemühungen mit dem Europäischen Dorferneuerungspreis prämiert worden. „Die Dorfentwicklung hat sich nicht nur wirtschaftlich ausgezahlt, sondern auch dazu geführt, dass die demografische Entwicklung positiv ist und die Lebensqualität ansteigt“, so Alt-Bürgermeister Helmut Wallner. Für eine gelungene Dorfentwicklung sei es wichtig, offen für Neues zu sein, Expertinnen und Experten von außerhalb zu holen, sich zu vernetzen und auf Qualität statt Mittelmaß zu setzen. „Ganz besonders wichtig ist aber, die Bürgerinnen und Bürger in die Entscheidungen einzubeziehen und mitzunehmen.“
Welche Themen für den ländlichen Raum in Südtirol wichtig sind, haben EURAC und Plattform Land in einer Online-Befragung erhoben. Drei Themenbereiche sollen in den nächsten Monaten vertieft werden, erklärte Philipp Corradini von der EURAC. „Die Umfrage hat ergeben, dass Verkehr und Klima, das Wohnen sowie die regionalen Produkte und Kreisläufe die Menschen interessieren. Daher sind hier auch Leuchtturmprojekte angedacht.“
Mit dem Flächenverbrauch in Südtirol hat sich Hermann Atz vom Meinungsforschungsinstitut Apollis auseinandergesetzt. Fazit: Es wird in Südtirol nach wir vor viel Fläche versiegelt. „Dabei stehen der Flächenverbrauch und die Bevölkerungsentwicklung nicht in direktem Zusammenhang. Daraus lässt sich schließen, dass auch Verkehrsinfrastrukturen, der Tourismus und das Gewerbe für den Flächenverbrauch mitverantwortlich sind, und nicht nur der Wohnungsbau.“
Für Theresa Haid von Vitalpin stehe auch der Tourismus vor großen Herausforderungen. Beispiele sind die Nachhaltigkeit, der Verkehr oder der Fachkräftemangel. Diese müssen mit Innovation gelöst werden.
Spannend war die abschließende Diskussionsrunde auf der Jahrestagung der Plattform Land. Landesrätin Maria Hochgruber Kuenzer hat darauf verwiesen, dass die Gemeinden derzeit das Gemeindeentwicklungsprogramm erarbeiten oder in Kürze erarbeiten werden. Dies ist eine große Chance, um zu bestimmen, in welche Richtung sich Südtirol entwickeln soll. Das Landesgesetz für Raum und Landschaft sieht vor, dass auch die Bürgerschaft in dieses Nachdenken einbezogen wird. Dieser Aspekt darf nicht vernachlässigt werden, denn die Bürgerinnen und Bürger wollen nicht nur mitgenommen werden, sondern sie wollen und sollen auch mitdenken und mitgestalten.
Für Christa Ladurner von der Allianz für Familie sei die Kinderbetreuung eine zentrale Herausforderung der nächsten Jahre. Hier brauche es neue Lösungen, das jetzige System sei zu starr. Ein großes Manko sei, dass es zu wenig Frauen in Gremien gebe.
Damit der ländliche Raum attraktiv bleibt, brauche es kombinierte Mobilitätsangebote (Bahn, Bus, Carsharing, E-Bike) und schnelles Internet. Zudem wünschte sich Irene Senfter vom Ökoinstitut mehr Energieunabhängigkeit. In Sachen Mobilität habe sich in den letzten Jahren bereits viel getan, Verbesserungen seien aber noch möglich.
Für UVS-Präsident Heiner Oberrauch ist der ländliche Raum der Sehnsuchtsort von morgen. Auch von neuen Trends, wie dem ortsunabhängigen Arbeiten, werde der ländliche Raum profitieren. Betriebe müssten weiterhin Möglichkeiten haben, sich zu entwickeln. Es brauche aber eine Entwicklung mit Mehrwert: vom Mehr zum Besser.
Und was hält die Jugendlichen auf dem Land? Die Landschaft, die Dorfgemeinschaft, die Familie und Wohn- sowie Arbeitsmöglichkeiten seien wichtig, erinnerte Tobias Stecher vom Jugenddienst Obervinschgau. Und immerhin sind die Jugendlichen die Zukunft – und natürlich auch die Gegenwart. Plattform-Land-Vizepräsident Leo Tiefenthaler zeigte sich überzeugt, dass der ländliche Raum an Bedeutung gewinnen wird. Die Plattform Land werde sich weiter für attraktive ländliche Räume und für die Flächensicherung einsetzen.
© Plattform Land, im Bild: Tobias Stecher (Jugenddienst Obervinschgau), Irene Senfter (Ökoinstitut Südtirol), Maria Hochgruber Kuenzer (Landesrätin), Christa Ladurner (Allianz der Familie) und Heiner Oberrauch (Unternehmerverband Südtirol) diskutierten über die Schlüsselthemen für einen starken ländlichen Raum.
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